Becken gut, alles gut?
Das letzte Wochenende über war ich auf einem Seminar. Dorn-Breuss wurde es genannt, der inhaltliche Schwerpunkt lag aber auf der abgewandelten, etwas sanfteren Methode von Dr. Graulich. Eine Methode, um Probleme am Bewegungsapparat und allen dazu gehörenden Beschwerden zu korrigieren. Kurz: SMT® genannt.
Die SMT® nach Dr. Graulich (Sanfte Manuelle Therapie) renkt nicht ein, sondern mobilisiert sanft.
Die Methode
Dr. Graulich vereint in seiner absolut ungefährlichen Form der Behandlung Erkenntnisse aus der Osteopathie, der chinesischen Medizin und der klassischen Schulmedizin. Er sieht dadurch ein organisches Korrelat zwischen allen Erkrankungen des Menschen und der Wirbelsäule, sowie unseren Gelenken. Die Annahme, dass mit jedem Rückenmarksabschnitt bestimmte Organe verbunden (Osteopathie), sowie dass alle Organe über das vegetative Nervensystem miteinander verknüpft sind (chinesische Meridian- und Funktionskreislehre), stellen die Grundpfeiler seiner Lehre dar. Eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Menschen mit seiner Gesund- bzw. Krankheit.
Die Behandlung arbeitet mit speziellen Techniken aus Druck und Mobilisation an der Statik des Bewegungsapparates. Dr. Graulich geht davon aus, dass der Mensch von Natur aus aufrecht und gerade ist, d.h. seine Extremitäten gleich lang, sein Körper gleichmäßig gestaltet und sein Gang ausgeglichen ist. Echte Missbildungen dagegen, wie eine anatomische Beinverkürzung, sind seltene Phänome. Die häufig vorhandenen Asymetrien des Körpers seien Folge von erworbenen Schäden an den Gelenken und der Wirbelsäule.
Die SMT® behandelt Probleme des Bewegungsapparates und eine Vielzahl von Beschwerden, die auf den ersten Blick mit dem Bewegungsapparat überhaupt nichts zu tun haben.
Oft wird betont, dass die Behandlungsform von der Kontinuität lebt: “Die SMT® setzt auf das Ziel der relativen Unabhängigkeit vom Behandler. Der Patient erhält nach seiner Behandlung eine genaue Einweisung in die Selbstbehandlungstechniken. So kann er sich regelmäßig auf einfache Weise selbst einen Heilimpuls geben. Je konsequenter dies umgesetzt wird, desto weniger Behandlungen sind in der Praxis nötig.”

Die Subluxation, Beinlängendifferenz und Beckenschiefstand
Dr. Graulich konnte feststellen, dass die Gelenke von Hüfte, Knie, sowie Sprunggelenk dazu neigen, zu subluxieren. Der Begriff Sublaxtion bezeichnet eine “Teilausrenkung” durch bspw. eine falsche Bewegung, durch die sich das Gelenk verlagert, verschiebt oder verkantet. Eine solche falsche Bewegung ist z.B. das Übereinanderschlagen der Beine oder Dehnübungen, bei denen der Winkel zwischen Oberschenkel und Oberkörper kleiner als 90 Grad ist.
Am Hüftgelenk wird das folgendermaßen erklärt: Durch solche Bewegungsfehler kantet der Hüftkopf am Pfannendach, wodurch Hebelkärfte entsehen, durch die die Hüftgelenksbänder aufgedehnt werden, so dass es zur Verschiebung des Hüftgelenkkopfes im Gelenk kommt. Und das bereits ab einem halben Millimeter. Das hat Folgen – Eine Subluxation führt meist zu einer Beinverlängerung.
Die Beinverlängerung wird im Stehen und Gehen dadurch kompensiert, dass die Beckenschaufel auf der Seite der Beinverlängerung nach oben gedrückt wird, wodruch sie höhren zu stehen kommt als auf der Gegenseite.
Anders als in der Schulmedizin geht man somit davon aus, dass das längere- und nicht das kürzere Bein der krankhafte Befund sind. Und das gilt es zu behandeln.
Eine solche Beinlängendifferenz ist weiterführend die primäre Ursache eines Beckenschiefstandes. Das Becken kann man sich wie das Fundament eines Hochhauses vorstellen. Ist dieses nicht stabil, werden es die Stockwerke darauf, also die Wirbelsäule, auch nicht sein. Diese versucht den Stiefstand nämlich auszugleichen – eine Skoliose und andere Beschweren sind mögliche Konsequenzen.

Nochmal zusammengefasst:
- Durch fehlerhafte Bewegungen kann eine Hüft-, Knie- oder Sprunggelenksubluxation entstehen
- Die Subluxation führt zu einer Beinverlängerung
- Eine Beinlängendifferenz verursacht einen Beckenschiefstand
Aber was ist mit muskeltraining?
Auch der Ausspruch: “Stärke deine Muskulatur für mehr Rückengesundheit! (= Gelenke mit einem stabilen Bandapparat, können nicht subluxieren)” ist nach Dr. Graulich falsch. Denn Bänder, Sehnen und die Muskulatur gehören zum Bewegungs- nicht zum Halteapparat. Sie sind elastisch und können aufgrund ihrer Elastizität nichts halten oder stabilisieren, auch wenn sie noch so stark ausgebildet sind. Eine gut trainierte Rücken- oder Bauchmuskulatur hält die Wirbelsäule nicht intakt. Die richtige Mobilisations- und Drucktechnik hingegen schon.
Sehnen, Bänder und Muskulatur sind elastisch und können deswegen nichts halten oder stabilisieren, auch wenn sie noch so stark ausgebildet sind.
Bei einer Skoliose bspw. ist die muskuläre Verspannung überhaupt erst Grund für die Entstehung der Krankheit. Durch erhöhten Muskelaufbau nimmt die Spannung in der Rückenmuskulatur zu, was die pathologische Zugkraft erhöht. Je mehr Muskelaufbau betrieben wird, desto schlimmer werden die Schäden an der Wirbelsäule. Gelingt es, die generell erhöhte Muskelspannung zu beseitigen, kann sich die Wirbelsäule wieder aufrichten.
Erzielt wird dies meist allein durch die allgemeine Behandlungsmethode:
- Beinlängenkorrektur durch Hüft-, Knie- und Sprunggelenkbehandlung
- Die Korrektur des Beckenschiefstandes durch die Behandlung von Beckenschaufeln, Scham- und Kreuzbein
- Evtl. Deblockierung einzelner Wirbelkörper, vor allem des 5. Lendenwirbels
Unser Seminar
Neben einer Wiederholung der anatomsichen Grundlagen von Wirbelsäule und Becken, samt Ilio-Sakral-Gelenke, Schambein, Schultergürtel etc., zeigte uns der Seminarleiter anhand eines Teilnehmers den Ablauf einer Routine-Behandlung.
Während der Demonstration konnten wir bei einer Kursteilnehmerin den deutlichen Beinlägenunterschied erkennen. Nach ein paar sanften Techniken konnte die Beinlängendifferenz schnell behoben werden. Wir waren alle schwer beeindruckt. Mit den korrigierten Hüftgelenken, wurde nun der vorhandene Beckenschiefstand des Patienten behandelt.

Für diese Technik stand der Patient an der Wand, den Rücken dem Therapeuten zugewandt. Nachdem die Wirbelsäule begutachtet wurde, stellten wir an dem Patienten eine Skolliose fest, die an der Brustwirbelsäule zunächst rechts verlief, nur um die Krümmung anschließend mit einem linken Ausschlag auszugleichen. Durch Ertasten des Beckenschaufeln konnten wir feststellen, in welche Richtung das Becken kippt. Nachdem der Therapeut zu Demonstrationszwecken mit seiner Technik das Becken zur anderen Seite kippen ließ, betrachteten wir gemeinsam die Wirbelsäule erneut. Und wir waren völlig baff. Die Skolliose verlief nun in genau die entgesetzte Richtung. Zunächst mit einem linksseitigen Ausschlag, anschließend rechts.
Das war ein riesiger Aha-Moment für mich: Eine Skolliose ist keine stabile Fehlbildung, sondern ist beweglich und korrigierbar. Abhängig von Ausprägung und Manifestation oft schon innerhalb einer Sitzung. Zumindest kurzzeitig. Denn wie gesagt: Die Behandlung lebt von ihrer Kontinuität.
Mein Weg
Das Thema ist umfangreich und in diesem Artikel konnte ich lediglich einen kleinen Teil dessen zeigen, was diese Therapieform noch bereit hält. Dennoch: Die gelernten Handgriffe werde ich nun täglich an Personen in meinem Umfeld testen und durch intensives Studieren der Techniken werde ich das Wissen zu diesem Thema vertiefen. Um ganz bald meinen Freunden, Verwandten und zukünftigen Patienten ein schmerzfreies, gesundes Leben zu ermöglichen. Ihr werdet in Zukunft ganz bestimmt mehr davon lesen.

Und für euch gilt ab jetzt: Beine Übereineinaderschlagen verboten!